donderdag 7 oktober 2010

Drei Gedichte von Christian Morgenstern (1)

AUS DER VORSTADT
(Mit Seele vorzutragen)

,Ich bin eine neue Straße

noch ohne Haus, o Graus.
Ich bin eine neue Straße
und sehe komisch aus.

Der Mond blickt aus den Wolken —

ich sage: Nur gemach —
(derMond blickt aus den Wolken)
die Häuser kommen noch nach!

Ich heiß' auch schon seit gestern

und zwar Neu-Friedrichskron
und links und rechts die Schwestern,
die heißen alle schon.

Die Herren Aktionäre,

die haben mir schon vertraut:
es währt nicht lange, auf Ehre,
so werd ich angebaut.

DerMond geht in den Himmel,

schließt hinter sich die Tür —
der Mond geht in den Himmel —
ich kann doch nichts dafür!’


*     *     *     *     *


GEBURTSAKT DER PHILOSPHIE

Erschrocken staunt der Heide Schaf mich an,
als säh's in mir den ersten Menschenmann.

Sein Blick steckt an; wir stehen wie im Schlaf;
mir ist, ich säh zum ersten Mal ein Schaf.



DIE ZWEI PARALLELEN

Es gingen zwei Parallelen

ins Endlose hinaus,
zwei kerzengerade Seelen
und aus solidem Haus.

Sie wollten sich nicht schneiden

bis an ihr seliges Grab:
das war nun einmal der beiden
geheimer Stolz und Stab.

Doch als sie zhn Lichtjahre

gewandert neben sich hin,
da ward's dem einsamen Paare
nicht irdisch mhr zu Sinn.

War'n sie noch Parallelen?

Sie wußten 's selber nicht, —
sie flossen nur wie zwei Seelen

zusammen durch ewiges Licht.

Das ewige Licht durchdrang sie,
da wurden sie eins in ihm;
die Ewigkeit verschlang sie,

als wie zwei Seraphim.


Christian Morgenstern (1871-1914)
Aus: Palma Kunkel (1916)
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Mehr Gedichte von Christian Morgenstern kann man im Laufe dieses Tages finden auf unserer niederländischsprachigen Schwesterseite Tempel der Dichtkunst. Und auf der NL-Webseite Tempel der Taalkunde haben wir ein dazu passendes Poem dieses Autors aufgenommen.
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Abbildung: Christian Morgenstern um 1900.

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