zaterdag 21 januari 2012

Walther Rathenau an Hermann Hesse: 21.1.1918

AN HERMANN H E S S E, BERN
                Sehr geehrter Herr Hesse!
. . . Ihr Aufsatz über mein Buch wurde mir schon vor längerer Zeit vorgelegt, und ich habe mich an der freundlichen Gesinnung und dem Wohlwollen, das Sie in die Ablehnung legten, erfreut. Da Sie Ihrerseits den Gegenstand erwähnen, so muß ich Ihnen jedoch in Offenheit sagen, daß Sie das Buch nicht so verstanden haben, wie ich es
 verstanden zu wissen wunsche.

Sie beklagen, daß es das Reich der Seele nicht verwirklicht. In der ersten Zeile ist aber gesagt:
"Dieses Buch handelt von materiellen Dingen". Im Materiellen verwirklicht sich die Seele nicht, wohl aber können die materiellen Dinge eine Richtung bekommen, und diese Richtung glaube ich in meiner Hauptarbeit "Zur Mechanik des Geistes" festgelegt zu haben. Sie sprechen zwar von meinem vorhergehenden Buch, jedoch weiß ich nich5, ob damit die "Mechanik" gemeint ist. Ich glaube nicht. Sie sagen: Neu ist diese Verständigung nicht"und fahren fort: "ihr richtiger Kern ist schon eben so scharf von anderen, von vielen erkannt worden".

Hermann Hesse 1927.
Foto von Gret Widmann.
Alle Prioritätsfragen halte ich für schattenhaft und gleichgültig, ja für nicht existierend, aber ich glaube dieses: Für die Dinge, für Welt und Leben gab es mancherlei Richtkräfte, mythologische, theologische, philosophische und utilitarische. Ich habe diese Richtkräfte aus dem Reich der Seele zu bestimmen gesucht, und zwar nicht, in dem ich sie, wie Sie sagen, als eine "Art von moralischer Verfeinerung des Verstandes" hinstellte, sondern als eine fest umrissene, metaphysisch begründete Weltkraft.
Aus einem Aufsatz von Ihnen, der mir später zuging (wo er stand, ist mir nicht mehr erinnerlich, er war zwischen Illustrationen recht unglücklich eingeklemmt), sah ich, daß Sie eine Reihe von Gedankengängen mit mir teilen, und ich habe mich darüber gefreut. Daß diese Gedankengänge auf die wahre Verwirklichung des seelischen Reiches zielen und daß dieses Reich im materiellen Sinne nicht von dieser Welt sein kann, darüber werden wir einig sein.
Ich habe es in der "Mechanik des Geistes", wie ich glaube, hingestellt und nicht an Einrichtungen und Sachlichkeiten gebunden.Wenn aber der Versuch gewagt werden durfte und gewagt werden sollte, von materiellen Dingen zu schreiben, so jedoch, daß diese nicht vom Theologischen oder Utilitarischen, sondern vom Seelenzentrum ihr Licht erhalten, so ist es meines Erachtens kein gerechter Tadel, wenn aufgedeckt wird, daß eben diese Dinge materiell sind.
Daß Sie als angeblicher Parteigänger von mir angefeindet worden sind, bedaure ich. Auch ich entgehe Anfeindungen nicht, wie es ja auch gerecht ist. Indessen interessiert es Sie vielleicht, daß mein französischer Gegner, der Rüstungsminister Thomas, in einem langen, respektvollen Zeitungsartikel die Frage aufwirft, weshalb die Russen in der Schweiz (dies ist der Grund warum ich es erzähle) nicht davon zu überzeugen sind, daß sie mit einem so autokratischen Lande, wie es Deutschland sei, sich nicht verständigen sollten. Die Antwort lautet: "Ils invoquent incessament le livre de Rathenau", d.h. sie sehen darin die Möglichkeit einer ihnen verständlicheren Entwicklung. Ich eiß nicht wie Seie darüber denken, vielleicht ganz anders als ich, und vielleicht amit noch absprechender als zuvor.
Da wir nun von Büchern und Besprechungen geredet haben, so möchte ich mit einer Erinnerung schließen.
Die erste und einzige Buchbesprechung die ich je geschrieben habe, erschien vor vielen Jahren in der "Zukunft"; sie betraf Ihr Buch "Peter Camenzind". Der Herausgeber meinte damals, sie habe dem Buche gedient, und ich wünsche daß dies der Fall gewesen sein möchte.Ich sandte Ihnen damals den Aufsatz mit einigen Zeilen; vielleicht ist er nicht in ihre Hände gekommen. Jedenfalls lag in Schrift und Brief viel gute Absicht.
                    Mit ergebenster Gruß der Ihre Rathenau.

Unterschrift von Walther Rathenau auf der Vorderseite von Briefe Band 1.
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NB: Lesen Sie auch den Brief von Walther Rathenau an Thomas Mann vom 11.1.1916. Den Inhalt dieses Briefes finden Sie indem Sie hier klicken.
Lesen Sie weiterhin auch noch den Brief vom 11.1.1916 den Walther Rathenau an den Philosophen und Philologen Fritz Mauthner geschrieben hat. Den finden Sie auf unserer niederländischsprachigen Schwesterseite Tempel der Wijze Woorden in einem Beitrag vom 11. Januar d.J.

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